Der nackte Ritt auf einem Schwein: Marquis Salou und seine Kultkneipe

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Schlapphut, Bart und wallender schwarzer Mantel – Marquis Salou war ein Provokateur, der den Bayreuthern bis heute im Gedächtnis bleibt. bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller blickt zurück.


„Jeder Fortschritt und jeder Wandel in der Geschichte kommt von Nonkonformisten. Wenn wir keine Dissidenten hätten, lebten wir noch in Höhlen.“ – ob das Zitat des britischen Historikers Alan J. P. Taylor auch auf den Bayreuther Provokateur Marquis Salou zutrifft, sei dahingestellt.

Der nackte Ritt auf einem Schwein

In den Fokus der damals so biederen Beamtenstadt rückte der Marquis im Jahr 1971 mit der Einweihung des „Life 2000″, einem großen Einkaufszentrum im Industriegebiet. Dort wurden gleichzeitig die moderne Diskothek „Jet Set“ und die „Eve-Bar“ eröffnet. Endgültige Berühmtheit erlangte der Marquis Salou, als er nackt auf einem Schwein in seine Bar einritt und sich deshalb Ärger mit dem Bayreuther Tierschutzverein einhandelte. Und, da waren sich alle einig, er muss auch der unbekannte Nackte gewesen sein, der über den Luitpoldplatz und die Bahnhofstraße gelaufen war.

Wer war dieser Mann, der quasi aus dem Nichts auftauchte? Dass er Curt Auls hieß, wussten nur die Mitarbeiter des Einwohnermeldeamtes. Dass er in Berlin aufgewachsen ist, dort eine humanistische Bildung genossen hat und später als Schauspieler in Paris, London oder München auftrat und die ganze Welt bereiste, berichtete er selbst.

Marquis Salou. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Der Marquis war stolz darauf, dass er als Bayreuths schillerndste Persönlichkeit den Gästen nach dem Besuch der Eremitage und des Festspielhauses noch selbst als touristische Attraktion gezeigt wurde.

Irgendwann war er nach Bayreuth gekommen, blieb aber zunächst nicht lange. Zwei Jahre nach der Eröffnung besagter Diskothek, die später „Happy Night“, „VIP“ und „Broadway“ hieß, gab es einen Eigentümerwechsel.

Und irgendwann verschwand dann auch der Marquis, kehrte Ende der 70er Jahre aber wieder nach Bayreuth zurück, um in der Carl-Schüller-Straße das Nachtlokal „Japanische Teestube“, das in den 50er Jahren einen eher zweifelhaftem Ruf hatte, zu übernehmen.

Alle Promis waren beim „Marquis“

Er eröffnete seine Nachtbar „Marquis Galerie“ und war fortan aus der Bayreuther Szene nicht mehr wegzudenken. Seine Bar war gesellschaftsfähig, wurde eine Institution. Bei ihm trafen sich die Bayreuther Geschäftsleute und die Stadtoberen. Am berühmten Stehtisch im Eck diskutierte Brauereichef Hans Schinner mit Großbäcker Kurt Schatz, Großschlachter und SpVgg-Chef Hans Wölfel mit Stadtrat Bernd Mayer, dem CSU-Fraktionsvorsitzenden Manfred Jahn oder Oberbürgermeister Hans-Walter Wild. Es durfte nicht jeder in seine „Galerie“. Ein Monitor über besagtem Stehtisch zeigte an, wer vor der Tür Einlass begehrte. Übrigens: Ein kleiner Kreis dieser Stammgäste hatte einen eigenen Schlüssel für das Etablissement.

Im der Galerie spielten sich immer wieder Aufsehen erregende Szenen wie diese ab: An der Theke spielten zwei Männer – einer nur mit einem Bademantel bekleidet – Back Gammon.

Die 100 Mark, die der Verlierer zahlen wollte, nahm der Sieger nicht an. Nach kurzer Diskussion verbrannte der Hundertmarkschein über einer Kerze. Die Szene ist verbrieft, denn der junge 18-jährige Bayreuther, der mit großen Augen beobachtet und nicht fassen kann, ist der Autor dieser Zeilen.

Marquis spendet Samen

Auch andere besondere Aktionen sorgten für Aufsehen. Schlüpfrige Ankündigungen wie „Marquis spendet Samen“ entpuppten sich dann freilich als harmloses Verschenken von Sonnenblumensamen. Spannend waren sie trotzdem, denn zuzutrauen war ihm eigentlich alles. Dieses Sprichwort war es dann auch, was ihm Freunde in seine Todesanzeige setzten: „Honi soit qui mal y pense!“

Der Marquis Salou starb am Dienstag, den 13. Februar 1990. Am gleichen Tag war 107 Jahre zuvor auch Richard Wagner gestorben – ein Schelm, der Böses dabei denkt.

In der Mitte der mit Menschen überfüllten Aussegnungshalle des Krematoriums am Südfriedhof stand zwischen einem Blumenmeer ein schwarzer Sarg mit dem schwarzen Schlapphut. Statt einem Pfarrer war es der bayerische Bluesbarde Willy Michl, der durch das „letzte Programm“ führte.

Traueranzeige Marquis Salou. Foto: Bernd-Mayer-Stiftung

Für seinen Freund sang er sein Lied vom „Blütental“. Nach den Abschiedsreden von Hans Ebersberger, DFB-Schiedsrichter-Lehrwart und Direktor des städtischen Gymnasiums, dem befreundetem Arzt Edwin Kroha und Michelle, Salous Witwe, intoniert der Isar-Indianer „The House of the Rising Sun“, ehe er nach einer ergreifenden Pause mit lauter Moderatoren-Stimme eine für Kirchen eher seltene Aufforderung erklingen ließ: „Ladies and Gentlemen, das Geilste für Salou im Leben war der Applaus. Geben Sie ihm also einen letzten Applaus.“

Unter den Standing Ovations der Trauergemeinde versank schließlich der Sarg in den Tiefen des Krematoriums.


Text: Stephan Müller


Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es hier beim bt. Darunter Geschichten wie diese die bisher in keinem Buch veröffentlicht wurden.


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