Es fuhr von Kulmbach nach Bayreuth: Das erste Elektroauto Deutschlands
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Von Bayreuth nach Kulmbach. Das ist die Strecke, die Deutschlands erstes Elektroauto zurückgelegt hatte. bt-Hobbyhistoriker Stephan Müller hat sich auf die Suche nach Konstrukteur und Auto begeben.
Bayreuth: Erstes E-Auto in den 70ern
Die erste Eisenbahn fuhr am 7. Dezember 1835 von Nürnberg nach Fürth. Im August 1888 bewies Bertha Benz mit dem „Benz Motorwagen 3“ auf ihrer Fahrt von Mannheim nach Pforzheim die Tauglichkeit des Automobils und in den 70er Jahren fuhr das erste verkehrstaugliche Elektrofahrzeug mit TÜV-Abnahme. Wo? Auf der Strecke von Kulmbach nach Bayreuth.
Am 28. Mai 2008 brach der damals 75-jährige geniale Erfinder Erich Pöhlmann mit seiner selbst gebauten Segelyacht „Motu“ von Neuseeland in nördlicher Richtung auf, um allein zur über 1.000 Kilometer entfernten Pazifikinsel Neukaledonien zu segeln. Was sich auf dem offenen Meer ereignet hat, wird man wohl nie mehr klären können. Jedenfalls entdeckte ein Fischer drei Wochen später, am 19. Juni, nur 200 Kilometer nördlich von Neuseeland Pöhlmanns verlassene Yacht. Der Rettungsgurt, mit dem sich Pöhlmann während der Fahrt gesichert hat, hing außen über die Bordwand, an der Schleifspuren zu erkennen waren. Rutschte er von Bord und schaffte es nicht mehr, sich zurück in das Boot zu ziehen? Pöhlmann blieb verschollen. Die Amtsgerichte in Neuseeland und Deutschland erklärten ihn im April 2012 für tot.
Das schnellste Elektroauto
Als Erfinder ist Erich Pöhlmann unvergessen: Im Jahr 1983, also vor fast 40 Jahren, entwickelte der Ingenieur in Kulmbach in Zusammenarbeit mit dem Essener Stromkonzern RWE das Elektroauto „Pöhlmann EL“. Der stromlinienförmige Prototyp mit einem zweimotorigen Direktantrieb auf der Hinterachsen und der Kunststoffkarosserie war mit über 120 Stundenkilometern das schnellste Elektroauto der Welt. Problemlos siegte der damals berühmte deutsche Rennfahrer Hans Herrmann 1986 im „Pöhlmann EL“ beim ersten Grand Prix der „Formel E“ in der Schweiz.
Auf der Rennstrecke in Veltheim zwischen Zürich und Basel siegte er überlegen vor der Konkurrenz. Herrmann, der die Erfahrung von vielen Formel-1-Rennen im Mercedes-Rennstall mitbrachte, in einem Porsche die 24 Stunden von Le Mans fuhr und auch bei vielen Rallyes am Steuer saß, testete den „Pöhlmann EL“ auf dem Porsche-Testgelände. Er war sich schon vor dem Rennen sicher: „Mit dem Auto gewinne ich!“
Pöhlmann gründete bereits 1981 in Kulmbach die Firma „Pöhlmann Anwendungstechnik GmbH & Co KG“ zur Entwicklung von Elektroautos. In dem Unternehmen wurden von den sechs Mitarbeitern insgesamt 18 Exemplare des „Pöhlmann EL“ hergestellt. Nach dem Bau von vier Fahrzeugen unter der Bezeichnung „Pöhlmann EL I“ im Februar 1982 wurde dieses kleinere Modell recht schnell vom „Pöhlmann II“ abgelöst.
Dabei wirkte auch der Kraftfahrzeugmechaniker-Meister Siegfried Müller, ein Freund und früherer Arbeitskollege von Erich Pöhlmann, als technischer Berater mit. Das Elektroauto kostete damals mit der Blei-Säure-Batterie in der Entwicklung gut 78.000 Mark. Ohne Nachladen zu müssen, fuhr Pöhlmann mit dem „EL“ die 200 Kilometer von Kulmbach nach Nürnberg locker hin und zurück. Allein deshalb gab damals so gut wie keine Motorsportzeitung, die nicht seitenlange Berichte über den Pöhlmann EL veröffentlichte.
Das Auto war 3,77 Meter lang, hatte ein Leergewicht von 1.380 Kilogramm und erreichte mit einer Maximalleistung von 24 Kilowatt eine Geschwindigkeit von 125 Stundenkilometern. Pöhlmann sprach damals schon von „seinem wartungsfreien Umweltauto“, weil weder Öl noch Auspuff gewechselt werden müssen. Der Kulmbacher betonte damals, dass „das Auto vergleichsweise wenig Strom benötigt und wegen der Edelstahlrahmen und der Kunststoffkarosserie mindestens doppelt so lange wie ein herkömmliches Fahrzeug hält.“
Darüber hinaus rüstete die „Pöhlmann KG“ zwei Omnibusse auf Elektroantrieb um, entwickelte das „King-Car“, ein Elektrodreirad für den Personen- und Lastentransport, ein Elektrofahrrad und ein Elektro-Kettcar für Kinder. Im Hinblick darauf, dass er bei einer Großserie den Preis auf rund 20.000 Mark drücken wollte, sagte der Erfinder damals: „Unterm Strich geht die Rechnung mit den Elektromotoren in all diesen Bereichen in einigen Jahren sicher auf.“ Wie wir wissen, lag Erich Pöhlmann mit dieser Prophezeiung gründlich daneben.
Im Fichtelberger Automobilmuseum
Sicher, Pöhlmanns Entwicklungen, vor allem der „EL“, hatten allesamt durchaus „Marktreife“. Aber: Der über viele Jahre niedrige Benzinpreis, die rückständige Batterietechnik und eine gewisse „Lustlosigkeit“ der Automobilhersteller stellten die weitere Entwicklung aufs Abstellgleis. Siegfried Müller bedauert das sehr:
Hätten Erich Pöhlmann damals mehr Unterstützung gehabt, wäre Deutschland in Sachen E-Mobilität heute wahrscheinlich Marktführer.
(Siegfried Müller)
So landeten die Exemplare des „Pöhlmann EL“, den die Kulmbacher nur „das Ei“ nannten, in den Museen. Eine quietschgelbe Variante des Autos aus dem Jahr 1984, die Ralf M. Ospel aus Untermerzbach gehörte, kann heute neben 250 weiteren Autos und gut 350 Motorrädern im Deutschen Automobilmuseum in Fichtelberg bewundert werden.
Weitere Exemplare stehen im Deutschen Museum München oder sogar im Museum der Firma Mitsubishi in Japan. Im Museum „Strom und Leben“ in Recklinghausen ist man stolz darauf, dass man seit 2016 mit dem „Pöhlmann EL I“ und dem „Pöhlmann EL II“ beide Modelle in der Sammlung hat. Lob gab es auch von Bundeskanzleramt und der Bayerischen Staatskanzlei, die in einem Brief an Siegfried Müller „gebührenden Respekt vor der Ingenieursleistung“ zollte.
Dass das Deutsche Museum ein Exemplar in seine Sammlung aufgenommen hat, weist ihr Fahrzeug als Meilenstein in der technologischen Entwicklung der Elektromobilität aus, worauf Sie stolz sein können.
(Die Bayerischen Staatskanzlei in einem Brief an Siegfried Müller)
Nur winzige Schritte weitergekommen
Bis heute haben nur wenige Elektroautos eine Reichweite über 400 Kilometer. Genau genommen waren es also nur winzige Schritte, die die Ingenieure und Hersteller moderner Elektroautos in den vergangenen Jahrzehnten weitergekommen sind.
Erstes verkehrstaugliches E-Mobil: Eine Isetta
Wenn man so will, entwickelten Pöhlmann und Müller schon in den 70er Jahren das erste Elektroauto in Deutschland. Die beiden Tüftler bauten in eine BMW-Isetta einen 10-PS-Elektromotor mit schweren Bleibatterien ein. „Das Ding ist tatsächlich spitze gefahren“ erinnert sich Müller und lacht noch heute, wenn er sich daran erinnert, wie er 1974 die Isetta dem TÜV-Mitarbeiter in Kulmbach zur Abnahme vorstellte.
Der TÜV hat die rote Isetta, deren Rahmen allerdings deutlich verstärkt werden musste, problemlos für die Nutzung im Straßenverkehr abgenommen. „Kulmbach – Bayreuth hin und zurück war ohne Nachzuladen überhaupt kein Problem“, erinnert sich Müller.
Bei einer Spitzengeschwindigkeit von 50 Stundenkilometer kamen wir mit den drei eingebauten, aber recht schweren Bleibatterien 60 Kilometer weit.
(Siegfried Müller)
Damit hat das Duo Mitte der 70er Jahre das erste verkehrstaugliche Elektrofahrzeug in Deutschland gebaut.
Text: Stephan Müller
Stephan Müller (53) ist Stadtrat, Hobbyhistoriker, freiberuflicher Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte Bayreuths. Für das Bayreuther Tagblatt hat er sein Archiv geöffnet. Die besten Anekdoten gibt es immer wieder hier beim bt.
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